Der Krieg und die Schriftsteller – Nachtrag zum Vortragsabend
Der Schwaaner Kulturförderverein hatte am 7.11. zu seiner 15. Veranstaltung in der Reihe „Rostocker Professoren zu Gast“ den Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Lutz Hagestedt, Universität Rostock, eingeladen.
Sein Vortrag stellte das literarische Werk der sozial, ästhetisch und weltanschaulich gegensätzlich zueinander stehenden Schriftsteller Ernst Jünger und Erich Maria Remarque vor: „Bellizist“ Jünger und „Pazifist“ Remarque. Mit diesem sehr speziellen Thema war vermutlich schon die Erwartung der Zuhörer spannungsgeladen. Es ist ein sensibles literaturgeschichtliches Thema und es ragt weit in aktuelle weltweite Konflikte und der Frage nach deren medialer Erzählung und politischer Lösung hinein.
Hagestedt akzentuierte am Beispiel von „In Stahlgewittern“ die Authentizität des literarischen Niederschlags von Jüngers Kriegserfahrungen als Soldat und Offizier mit höchster Auszeichnung von Beginn bis Ende des Krieges. Dem gegenüber stellt er die nur sparsam inividuelle Erlebnisse benutzende, romanhaft konstruierte Kriegserzählzung des 1918 aus dem Lazarett entlassenden Soldaten Remarques in „Im Westen nichts Neues“. Zudem beleuchtete er die Legenden, die Remarque für seine Identität entwarf. War Remarque ein „Rollenspieler“ oder nimmt der Leser ihn weiter als Kriegsgegner und Pazifisten wahr?
Dr. Stephan Lesker, Hagestedts junger, engagierter Mitarbeiter am Lehrstuhl Neuere und neueste deutsche Litteratur, las ausdrucksvoll Passagen aus „In Stahlgewittern“ und aus Remarques Roman Szenen der inkriminierten „Fraternisirung“ deutscher Soldaten mit jungen Französinnen. Kitsch oder Abbildung zutiefst menschlicher Regung und Sehnsucht? Eindrucksvoll auch war die Einblendung von Szenen der Verfilmung aus „Im Westen nichts Neues.“ Klassenlehrer Kantoreks indoktrinäre Ansprache an die Achtzehnjährigen erreicht das Ziel: Die gesamte Klasse meldet sich „freiwillig“ zum Kriegesdiesnt. „Das erste Trommelfeurer zeigte uns unseren Irrtum, und unter ihm stürzte die Weltanschauung zusammen, die sie uns gelehrt hatten.“ (Im Westen nichts Neues. Berlin und Weimar 1989, S.14.)
Eine schöne Episode aus Hagestedts Wissenschaftlerbiographie klingt nach: Als Gymnasiast entdeckt er auf abenteuerliche Weise in der Bibiothek seines Lebensorts Goslar die Texte Ernst Jüngers – und wird in deren Bann gezogen. In der Schwaaner Bibliothek wird er an diesem Abend unter „J“ nicht fündig… Es bleibt die Frage, wie dem streitbaren Schriftsteller Ernst Jünger in der Literaturvermittlung heute zu begegnen ist. Auch die divergierende, in Jüngers Fall behinderte Rezeption in der DDR bzw. in der alten
Bundesrepublik wurde angesprochen.
Das anschließende Gespräch mit den Gästen konzenrierte sich auf die Ausführungen zu Jünger. Wie ist Jüngers selbstverständliche (?) Ablehnung der Umwerbung durch Göring und Hitler zu bewerten? Kann sich der (heutige) Leser mit der Ästhetisierung von Kriegserlebnissen bei Jünger und die vom Leser vermisste Ablehnung des Krieges arrangieren? Was weiss man über Jüngers Verhältnis zur Resistance?
Eine Besucherin berichtete, dass Schüler einer 11. Klasse die ästhetisierende Darstellung bei Jünger, auch seine im Krieg beibehaltene Leidenschaft für Käfersammlung und -bestimmung als Entlastung von den grausamen Tagesereingnissen wahrnehme. Auch so geht ein Zugang zu Jünger, der Pazifismus gebiert.
Die 30 Gäste in der gut besetzten Stadtibliothek waren ein aufmerksames Publikum und folgten nach meinem Eindruck dem Vortrag mit Gewinn und Nachdenklichkeit. Danke für alle Fragen und Anmerkungen.
Danke an Karl-Heinz Zachert für die Tontechnik. So geht Kultur-Netzwerk in Schwaan. Danke an Bibliothekarin Kathrin Marczak, Hausherrin und immer aufgeschlossene „Komplizin“ in Sachen Literaturvermittlung!
Der Schwaaner Kulturförderverein dankt Prof. Hagestedt für den anregenden, herausfordernden Vortrag.
Dr. Hella Ehlers
Schwaaner Kulturfördeverein e.V.
© Foto: H. Langner